16 02/2011 A K T U E L L Wenn Essen zum Problem wird „Es ist, als ob dir jemand den Boden unter den Füßen wegzieht! Du fällst in ein Loch, und du fällst und fällst …“ Gaby, Mutter einer 15jährigen Tochter, wirkt bedrückt, fast hilflos. Seit zwei Monaten steht es fest: Gabys Tochter ist magersüchtig, sie leidet, fachsprachlich ausgedrückt, an Anorexia nervosa. Eine von etwa 200 Betroffenen in Südtirol. Über die Erkrankung ihrer Tochter spricht sie nur zögernd, jedes Wort ist mit Bedacht gewählt, fast so, als ob sie sich schämen würde. Für Gaby und ihren Mann, erzählt sie, sei es ein harter Schlag gewesen, die Krankheit wäre mit ungeheurer Wucht ins Leben getreten, Rat- und Orientierungslosigkeit hätten sich breitgemacht … Fragen über Fragen: Was ist die Ursache für die Krankheit? Was kann man dagegen tun? Wo gibt es Hilfe? Gabys Tochter ist nur eine von rund 200 Betroffenen in Südtirol, die an Magersucht leiden. Es ist dies eine häufige, wenn auch nicht die häufigste Form von Ess-Störung. Schätzungsweise rund 600 Südtirolerinnen und Südtiroler dürften an Ess-Brech-Sucht (Bulimia nervosa) leiden, noch häufiger sind verwandte Störungen wie unkontrollierte Essattacken (Binge- Eating-Disorder, BED) und Fettsucht (Adipositas). Genaue Zahlen liegen keine vor, die Dunkelziffer ist hoch. Wer sich an eine Beratungsstelle oder einen Arzt wendet, ist meist in einem Stadium, in dem die Essstörung nicht mehr verborgen werden kann, weder vor sich selbst, noch vor der Familie. Ein Stadium, in dem die Gesundheit ernstlich kompromittiert ist. Hohe Dunkelziffer – immer mehr und immer jüngere Patienten Für Dr. Oswald Mayr, Sanitätsdirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes, liegt das Auftreten in Südtirol im europäischen Durchschnitt: „Auch bei uns ist die Zahl der Betroffenen zwar steigend, auch bei uns werden die Patientinnen immer jünger. Unser Ziel ist es, eine qualitativ hochwertige Betreuung bereitzustellen, die Herausforderung liegt in der multidisziplinären Vernetzung aller Fachdisziplinen und in der Bereitstellung der notwendigen Ressourcen. Unerlässlich ist es aber auch darauf hinzuweisen, dass Ess-Störungen als Teil einer gesellschaftlichen Gesamtproblematik gesehen werden müssen.“ Betroffen von Ess-Störungen sind meist Frauen; im Jahr 2009 betreuten die Einrichtungen des Südtiroler Sanitätsbetriebes rund 500 Patienten, nur 20 davon waren männlich – das sind gerade einmal vier Prozent. Jährlich kommen in Südtirol ca. 200 Patientinnen und Patienten neu dazu, wobei die Be- Dr. Oswald Mayr ESS-Störungen als „Spiegel der Gesellschaft“ Ess-Störungen haben sehr viel mit gesellschaftlichen Haltungen und Wertvorstellungen zu tun. Nicht zufällig hat die Fachstelle INFES bei der Vorstellung der Info-Broschüre „Guten Appetit – was Sie über Ess-Störungen wissen sollten“ im Mai letzten Jahres troffenen immer jünger werden. Auch Zwölf-, 13-Jährige sind keine Seltenheit mehr. Bei Essstörungen handelt es sich nicht selten um ein lebenslanges Problem, das bei jeder Krisensituation wieder aufflackern kann. vor allem Frauen leiden an Essstörungen Wie sieht nun aber das Konzept der Betreuung im Südtiroler Sanitätsbetrieb aus? Alle Experten für Ess-Störungen sind sich einig, dass der Behandlungserfolg bei Ess-Störungen maßgeblich von der engen Vernetzung von Beratungs- und Therapieeinrichtungen sowie den Fachleuten abhängt. „Wir arbeiten derzeit intensiv an der Organisation eines funktionierenden Behandlungsnetzes“, erläutert Sanitätsdirektor Mayr, „dadurch wollen wir eine geschlossene Versorgungskette für die Patientinnen und Patienten erreichen. Es muss uns noch stärker als bisher gelingen, Versorgungslücken zu schließen und Betroffenen wie auch Angehörigen kompetente Hilfe anzubieten.“ Ein erster Schritt: die beratung Grundlegend hierfür ist ein gut sichtbares, wohnortnahes Beratungsangebot. Gerade weil Ess-Störungen häufig einhergehen mit Minderwertigkeits- und Schamgefühlen, schwankenden Krankheitseinsichten und vielerlei Ambivalenzen, sind möglichst lokal angesiedelte und kurzfristig erreichbare Beratungseinrichtungen unerlässlich. Für Südtirol haben auch private Träger, wie z.B. IN- FES, eine wertvolle Hilfestellung geleistet. die damalige Miss Südtirol Andrea Aster eingeladen. Am Pranger stehen unerreichbare Schönheitsideale und mörderischer Perfektionismus, wie sie jungen Menschen speziell in der Welt der Models und in den Medien allgemein suggeriert werden. Ist der Einstieg in den Behandlungsprozess erst einmal geschafft, ist die Überweisung an ein multiprofessionelles Behandlungsteam meist nur eine Frage der Zeit. Mittlerweile gibt es in allen vier Gesundheitsbezirken des Landes Fachambulanzen für Menschen mit Ess-Störungen, wo Betroffene Beratung und Behandlung in diätologischer, psychologischer, psychotherapeutischer und ernährungstherapeutischer Hinsicht erhalten. Bei Bedarf können diese „multiprofessionellen Kernteams“ psychiatrische, pädiatrische sowie weitere fachärztliche Konsulenz hinzuziehen. Fachambulanzen und stationäre betreuung „Durch den Aufbau dieser Fachambulanzen in den Krankenhäusern Meran, Bozen, Brixen und Bruneck sind entscheidende „Knotenpunkte“ im Versorgungsnetz für Ess-Gestörte geknüpft worden“, betont Dr. Mayr. „Gleichzeitig arbeiten wir daran, das stationäre und teilstationäre Angebot für Patientinnen und Patienten zu verbessern. In der Weiterentwicklung des Projektes ist es vorgesehen, dass in der Pädiatrie im Krankenhaus von Brixen unter der Führung von Primar Markus Markart stationäre und teilstationäre Betten für die Akutbehandlung mit nachfolgender Rehabilitation angeboten werden. Durch die starke Einbindung von Bad Bachgart wird dieses Betreuungskonzept komplettiert. Damit soll erreicht werden, dass der allergrößte Teil der stationär zu betreuenden Patienten im Land behandelt werden kann.“ Landesweites betreuungsnetz Damit aber nicht genug: Vielfach hat es sich gezeigt, dass die Entlassung von Aus: 33 x Spargel ISBN 978-88-8266-535-7 ” 9,90 A K T U E L L der stationären Betreuung in die häusliche Pflege für die Betroffenen einen zu großen Schritt darstellt. Deshalb muss in den einzelnen Gesundheitsbezirken auch ein teilstationäres Angebot schrittweise geschaffen werden, sowie das Angebot in Wohngemeinschaften bzw. in betreutem Wohnen. Die Zusammenarbeit mit der Uniklinik in Innsbruck oder anderen Zentren in Italien und im deutschsprachigen Ausland bleiben besonders schweren Fällen vorenthalten. Kurzum: ein feinmaschiges Netz, das Betroffene wie Angehörige auffangen • Fachärztliche Visite (Anamnese, Diagnose und gemeinsames Therapiekonzept und Rehabilitation) • Ernährungstherapie: Motivation, Ernährungsanamnese und -rehabilitation, Beitrag zur Prävention von Rückfällen • Psychologische Therapie, Psychotherapie: Erfassung der Hinter- Endlich Spargelzeit Gratinierter Spargel mit Mozzarella und Tomaten Grünen Spargel waschen, die Enden abschneiden und von der Spitze aus schälen. Salzwasser zum Kochen bringen und den Spargel 6–8 Minuten kochen. Spargel aus dem Wasser heben und im Eiswasser rasch abkühlen lassen. Eine feuerfeste Form mit Butter ausstreichen, den Spargel hineingeben und würzen. Die Tomatenwürfel auf den Spargel geben, salzen und pfeffern und mit Mozzarellascheiben belegen. Spargel mit Käse im Backrohr bei 220 Grad Oberhitze überbacken, mit Schnittlauch bestreuen und servieren. w w w . a t h e s i a b u c h . i t A800 soll. Für Gaby und deren 15-jährige Tochter hat es mittlerweile gegriffen. Die ganze Familie – immerhin die Eltern und drei Kinder – besuchen 14-tägig eine Familientherapie, interessanterweise nicht im öffentlichen Gesundheitswesen, sondern bei einem privaten Anbieter, der wiederum vom Sanitätsbetrieb bezahlt wird. Denn auch das ist Teil der Philosophie des Projektes: Die Anlaufstellen sollen so niederschwellig wie möglich sein; jeder Bürger, jede Bürgerin soll frei wählen können, wer ihn bzw. sie behandelt. Was bieten die Fachambulanzen für Ess-Störungen im multiprofessionellen Team? Hilfe bei Ess-Störungen: Gesundheitsbezirk Bozen • Psychologischer Dienst, Bozen, Galileo-Galilei-Straße 2/E, Tel. 0471 270 115 • Zentrum für Psychotherapie und Psychosomatik, Sparkassestraße 8, Tel. 0471 970 383 Gesundheitsbezirk Meran • Interdisziplinäres Ambulatorium für Essstörungen; Krankenhaus Meran, Tel: 0473 251 250 grundprobleme, Familienanamnese, Motivationsaufbau • Kinder- und jugendpsychiatrische Therapie: gezielte Therapie bei Bedarf Durch das multiprofessionelle Team in der Fachambulanz kann die große Mehrzahl der Betreuten stabilisiert und ihr Gesundheitszustand verbessert werden. Gesundheitsbezirk Brixen • Medizinische Ambulanz, Krankenhaus Brixen, Tel. 0472 812 710 • Pädiatrische Ambulanz, Krankenhaus Brixen, Tel. 0472 812 680 Gesundheitsbezirk Bruneck • Zentrum für Psychische Gesundheit, Krankenhaus Bruneck, Tel. 0474 586 340 oder 0474 586 342 • Dienst für Diät und Ernährung, Krankenhaus Bruneck, Tel. 0474 581 136 Endlich_Spargelzeit_190x67.indd 1 22.03.11 11:58
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