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Gesundheit & Ernährung 2011

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A K T U E L L Die letzte

A K T U E L L Die letzte Anlaufstelle „Unsere Gesellschaft ist am Platzen.“ Laut Lucio Lucchin, Primar des Dienstes für Diätetik und klinische Ernährung des Krankenhauses Bozen sowie Präsident der italienischen Vereinigung für Diätetik und klinische Ernährung (ADI), sind Übergewicht und falsche Ernährung nach dem Rauchen der zweite Krankheitsfaktor der Überflussgesellschaft. Seine Abteilung behandelt ca. 600 neue Patienten im Jahr davon 80 im Day Hospital. Hochrechnungen besagen, dass 2050 ca. 95 % der Bevölkerung der Industrieländer unter Übergewicht leiden werden. Ernährung ist eines der Themen, die im Alltag ständig präsent sind und die im Allgemeinen von der Bevölkerung mit großem Interesse verfolgt werden. Leider folgt daraus kein korrektes Ernährungsverhalten. Im Gegenteil. Betrügerische Heil- und Fastendiäten ziehen den Leuten nicht nur das Geld aus der Tasche, sondern stellen eine ernste Gefahr für die Gesundheit dar. Auch im medizinischen Bereich wird die Bedeutung dieses Faktors gerne unterschätzt. Lucchin: „Im Vergleich zu anderen Disziplinen gibt es nur wenige Ärzte für Klinische Ernährung.“ Mehr als nur ein ästhetisches Problem In Italien sterben jährlich ca. 50.000 Personen an den Folgen von Übergewicht und viele Menschen an den Folgen falscher Ernährung. „Die Behandlung von Übergewicht und Fettleibigkeit“, so Lucchin, „verursacht dem italienischen Staat im Jahr Kosten in Höhe von 23 Milliarden Euro; das entspricht zwei Prozent des Bruttosozialprodukts!“ Fettleibigkeit ist nicht nur ein ästhetisches Problem, sondern als Krankheit zu betrachten; immer mehr Menschen, vor allem Kinder und Senioren, sind davon betroffen. Ein großes Problem stellt aber auch die falsche, einseitige Ernährung dar. Herz- und Kreislauferkrankungen, Nierenleiden, Schlaganfall, Diabetes, Tumore, Knochen- und Gelenkskrankheiten sind die Folge. baren Umgebung kosten mehr als Gewächshausprodukte oder fetthaltige Fastfood-Produkte. „Viele Menschen kennen sich zudem im Dschungel von biologisch, Naturkost, Rohkost, vegetarisch, vegan nicht aus – oft muss die Qualität, müssen wissenschaftliche Prinzipien hinter pseudophilosophischen Erkenntnissen zurückstehen.“ Was bewegt die Patienten, sich beim Dienst für Diätetik und klinische Ernährung anzumelden? Schließlich wacht man nicht von einem zum anderen Tag mit einem Gewicht von 150 und mehr kg auf. „Tatsache ist“, betont Lucchin, „dass wir meistens die letzte Anlaufstelle sind, nachdem alles andere versagt hat.“ Der erste zertifizierte Dienst für Diätetik in Europa Die Dienste für Dietätik wurden 1991 an den vier Krankenhäusern Bozen, Meran, Brixen und Bruneck eingerichtet. Die Dienste gliedern sich jeweils in einen ambulanten und einen klinischen Bereich, jedes der Krankenhäuser ist auch für den dazugehörigen Sprengel zuständig. In jedem Sprengel gibt es Ambulatorien für Beratung sowie für die Betreuung von künstlich ernährten Patienten, für die Speiseplankontrolle von Kindergärten, Mensen und Altersheimen. Dank der guten Kooperation der vier Dienste für klinische Ernährung können Patienten in ganz Südtirol flächendeckend auf die gleiche kompetente Behandlung zählen. Lucchin leitet als Primar seit 2000 den entsprechenden Dienst im Bozner Krankenhaus, den größten dieser Art in Südtirol. Er wurde 1998 als erster in Europa zertifiziert. Neben dem Primar sind hier vier Ärzte und 20 Diätassistenten, davon zehn im Sprengel, tätig. Drei Psychologen und ein Psychiater gehören ebenso zum Team. Zur Behandlung gehört die Erfassung des klinischen Zustands eines A K T U E L L Patienten, seiner Essgewohnheiten, die Erstellung eines Diätplanes, in den auch körperliche Aktivitäten eingeplant sind sowie die psychologische Begleitung des Patienten. Wer bereits gesundheitlich geschädigt ist bzw. schwer übergewichtig ist, wird in zehn Tageszyklen im Day Hospital behandelt. Das Day Hospital verfügt über vier Betten. Der Bozner Dienst ist stolz auf seine Erfolgszahlen, die nach 24 Monaten seit Beginn der Behandlung weit über dem nationalen und internationalen Durchschnitt liegen. Wenn die Seele Hunger hat ... Im Schnitt hat jeder Patient mindestens drei Kontakte im Jahr mit der Abteilung. Die Wartezeit liegt bei circa 40 Tagen. Seit 2000 werden außerdem operative Eingriffe vorgenommen, die eine Equipe, bestehend aus Ernährungsspezialisten, Chirurgen, Psychologen und Diätassistenten, entscheidet. Hierbei geht es u.a. um das Einsetzen eines volumenreduzierenden Ballons in den Magen oder um eine Art Bypass für den Darm. Seit 2000 wurden 165 Eingriffe durchgeführt. „Wer ein Problem mit seinem Gewicht hat“, betont Lucchin, „muss meist etwas kompensieren.“ Rührende Gedichte, in denen von Mangel an Anerkennung, Liebe, Zuwendung und Zärtlichkeit die Rede ist, aufgehängt im Aufenthaltsraum des Day Hospitals, sprechen Bände. Nahrungsaufnahme als Ersatz für Streicheleinheiten, einen Kuss oder etwas Aufmerksamkeit. Modernste Geräte und eine 300 kg Waage Die Abteilung verfügt über eine Reihe modernster Geräte, um die Patienten zu monitorieren, die z. B. den Wassergehalt im Körper messen (Bioimpedanzanalyse), den Kalorienverbrauch (Kalorimetrie), Multisensoren, um die Body Mass Index Untergewicht Wert unter 18,5 Normalgewicht Werte zwischen 18,5 und 24,9 Übergewicht Werte zwischen 18,5 und 24,9 Adipositas Werte zwischen 30 und 39,9 Schwere Adipositas: Werte über 40 Body Mass Index = Gewicht dividiert durch die Größe (in Metern) zum Quadrat Lebensgewohnheiten des Patienten aufzuzeichnen, Geräte, die den Sauerstoffgehalt im Blut während der Ruhephasen messen oder die Übereinstimmung des tatsächlichen Alters mit dem biologischen Alter überprüfen. Aber auch einfache technische Hilfsmittel wie z. B. eine Personenwaage bis 300 kg mit einer Haltevorrichtung, eine Waage, um bettlägerige Patienten zu wiegen und Krankenhausbetten und -liegen, die ein Gewicht von bis zu 300 kg tragen können, gehören zur Einrichtung. Vor der ersten Visite werden die Patienten zu einem Treffen mit dem Primar eingeladen, das monatlich stattfindet. „Dabei werden die Modalitäten der Behandlung erklärt, aber auch die Motivation der Patienten hinterfragt“, unterstreicht Lucchin. Jeder Patient muss einen Fragebogen ausfüllen, der Auskunft über Gewohnheiten, aber auch über die Motivation des Patienten gibt. Medizinisches Problem mit sozialer Relevanz Südtirol Italien Übergewichtige Kinder im Alter von neun bis zehn 11,4 % 23 % Es handelt sich, so Primar Lucchin, aber nicht nur um ein medizinisches, sondern auch um ein gesellschaftli- Fettleibige Kinder im Alter von neun bis zehn Übergewichtige Erwachsene 3,6 % 24 % 11 % 33 % ches Problem: Frische Lebensmittel Fettleibige Erwachsene (Adipositas und schwer Adipositas) 7 % 10 % ohne Konservierungs- und andere Zusatzstoffe, vitaminreiches, frisches Gemüse und Obst aus der unmittel- Ca. 5000 Südtiroler leiden an Übergewicht; 1500 Personen an Fettleibigkeit (Adipositas). 14 02/2011 02/2011 15

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